Wie Sie als Führungskraft positiv mit der eigenen Unsicherheit umgehen

Veröffentlicht am 9. 1. 2018 von Dr. Vanessa Giese

Chefs sind die, die stark sind und sich auskennen, oder? Tatsächlich sind sie genauso unsicher wie andere Menschen auch. Wie Führungskräfte ihre Unsicherheit nutzen können, um das Unternehmen voranzubringen.

Zu zweifeln und unsicher zu sein, liegt im Wesen des Menschen. Thomas Alva Edison sagte einmal: "Zweifel klettert auf den Baum der Erkenntnis, Rechthaben hängt sich an ihm auf." 

Unsicherheit ist also keine Schwäche; Unsicherheit und Zweifel sind normal und bringen uns weiter - wenn wir sie positiv nutzen.

Allerdings - und jetzt kommt die schlechte Nachricht: Unsicherheit ist der Ursprung aller Widersprüche. Ist die Führungskraft unsicher, ist sie oft unklar - und was sie unklar ins Unternehmen hineingibt, können die Mitarbeiter nur unklar umsetzen. Gerade wenn das Unternehmen hierarchisch orientiert ist. 

Unsicherheit hemmt das Unternehmen

Die Unsicherheit einer Führungskraft zeigt sich in Unternehmen in mehreren Symptomen: 

Kontrollbedürfnis

Wenn eine Führungskraft kein Vertrauen in sich selbst hat, hat sie meist auch wenig Vertrauen in andere. Daraus erwächst der Wunsch, alles unter Kontrolle zu haben. Die Folge: Die Führungskraft wird zum Flaschenhals für Entscheidungen, Mitarbeiter*innen meiden Verantwortung, der Kalender platzt vor Terminen, Mitarbeiter*innen sitzen dem Chef wegen Nichtigkeiten auf dem Schoß.

Der starke Wunsch nach Loyalität

Wer unsicher ist, tut sich schwer mit Menschen, die anderer Meinung sind und Ideen hinterfragen. Denn sie kratzen genau dort, wo es weh tut - bei der Frage: Tue ich das Richtige, bin ich gut genug?

Loyalität ein großes Thema. Unsichere Chefs nehmen Mitarbeiter*innen, die Kritik üben, oft als illoyal wahr - als jemanden, der oder die ihnen in den Rücken fällt. Die Kritik an der Sache wird als Kritik an der eigenen Person und der eigenen Kompetenz empfunden.

Daraus resultiert auch die Wahrnehmung, Andere würden am Stuhl sägen und einem die Position streitig machen wollen.

Harte, übereilte Entscheidungen - oder keine

Ist die Führungskraft als Entscheider gefragt, neigen unsichere Menschen zu zwei Lösungswegen:

  • Sie fällen harte und übereilte Entscheidungen, ohne die Beteiligten anzuhören und verschiedene Aspekte und Konsequenzen zu durchdenken. Denn Widersprüchlichkeit - und die gibt es gerade bei komplexen Sachverhalten zuhauf - würden die Unsicherheit nur verstärken. 
  • Sie entscheiden nicht oder delegieren Entscheidungen. Letzteres ist nicht per se schlecht. Unsichere Chefs neigen jedoch dazu, Entscheidungen weiterzugeben, die nicht delegierbar sind.

Aufforderungen an Mitarbeiter*innen wie "Findet selbst eine Lösung!" funktionieren nur dann, wenn die Organisationsstrukturen das zulassen. Diese Strukturen, die den Mitarbeiter*innen Autonomie geben, gibt es bei unsicheren Führungskräften aber nicht - aufgrund des hohen Kontrollbedürfnisses. 

Das Ich in Relation zu Anderen

Wer unsicher ist, sucht den Vergleich mit anderen. Vergleiche helfen, um sich selbst zu spüren und sich wahrzunehmen - vor allem als besser wahrzunehmen als den Anderen. Deshalb neigen unsichere Menschen dazu, negativ über Dritte, auch über Mitarbeiter*innen zu sprechen. Unsichere Chef festigen ihre Macht (und ihr Selbst) gerne, indem sie gegen andere kämpfen statt für sie, indem Sie drohen und Angst bei den Mitabrieter*innen auslösen.

Missstimmung und fehlendes Vertrauen

Der große Wunsch nach Kontrolle, das fehlende Vertrauen in die eigenen Leute, harte Entscheidungen oder Entscheidungsschwächen prägen die Unternehmenskultur. Mitarbeiter*innen werden ebenfalls unsicher, reagieren mit Frustration und zeigen wenig Selbstverantwortung. Sie ziehen sich zurück und machen Dienst nach Vorschrift, imitieren das Verhalten des Chefs oder verlassen die Firma.

Der Zweifel ist ein Motor

Mit Unsicherheit und Zweifeln sind Sie als Führungskraft nicht allein. Das Gute: Zweifel sind ein Antrieb, sich zu bewegen, zu verbessern, voranzukommen. Wer zweifelt, ist in der Lage, seine Schwächen zu erkennen und mit ihnen umzugehen. Eine kreative Auseinandersetzung mit Widersprüchen und Unsicherheit zeugt von einer guten Persönlichkeitsentwicklung. 

Ziel kann es niemals sein, mit dem Zweifeln aufzuhören - sondern dass Sie als Führungskraft einen guten Umgang mit Unsicherheit finden. Denn Sie werden immer Situationen und Phasen haben, in denen Sie nicht wissen, was und wie Sie entscheiden sollen und ob Sie gut genug für den Job sind, den Sie machen. 

Wie Sie Ihre Unsicherheit nutzen und von ihr profitieren

Nehmen Sie sich etwas Zeit und überlegen Sie: Was ist Ihre Aufgabe als Führungskraft? Viele Führungskräfte, die sich unsicher fühlen, denken, sie müssten alles wissen, für alles eine Lösung haben und alles richtig entscheiden. Das ist nicht so. 

Geben Sie Ziele vor

Ihre Aufgabe ist es, den Weg zur Lösung zu moderieren - und nicht, die Lösung zu haben. Wie Sie dorthin kommen, müssen nicht Sie alleine wissen. Ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, gemeinsam mit Ihnen den Weg zu suchen. Ihre Vorstellung und Ihre Ziele sind der Referenzpunkt für Ihre Leute.

Es geht um Können, nicht um Wissen

Überhaupt geht es mehr um Können als um Wissen. Niemand kann heutzutage alles wissen und für alles eine Lösung haben. Damit umgehen können, Lösungen suchen, sich Kompetenzen aneignen und Dinge ausprobieren: Das ist das Wesentliche. 

Sie haben fähige Leute

Ihre Mitarbeiter*innen haben was drauf und kennen sich in ihrem Fachbegebiet aus. Nutzen Sie ihr Know-how, nutzen Sie das Können Anderer. Sie werden es Ihnen mit Engagement danken.

Führen Sie den Prozess, nicht die ganze Planung

Steuern Sie mit Abstimmungen, Zwischenergebnissen und Zwischenzielen. Kümmern Sie sich vor allem um die Beziehungen und Interaktion zwischen den Menschen, schaffen Sie Strukturen, seien Sie Trainer und Visionär. 

Geben Sie ausreichend Feedback

Nur so wissen Ihre Leute, ob Sie auf dem richtigen Weg sind. Feedback beginnt im Kleinen: ein kurzes "Danke" für eine Mail, ein "Dein Satz eben hat mir sehr geholfen" oder "Ihren Einwand habe ich ins Gespräch mitgenommen".

Wenn Sie Feedback geben, bekommen Sie auch welches

Vor allem auch: positives! Als Führungskraft werden Sie selten gelobt. Manchmal ist es auch ganz schön einsam. Je mehr Sie sich öffnen, desto mehr trägt Sie Ihr Team und hilft Ihnen, sich Ihrer selbst sicher zu sein. 

Üben Sie Nachsicht - auch sich selbst gegenüber

Wer unsicher ist, ist oft sehr streng mit sich: Fehler sind etwas, wofür man sich schämt. Das ist, gelinde gesagt, Quatsch, denn niemand ist perfekt. Es ist okay, wenn Sie einen Fehler gemacht haben oder eine Entscheidung bereuen. Fehler zuzugeben, zeugt von Mut und Große - und entlastet Sie. Sie werden überrascht sein, wie wohlwollend Ihre Umgebung Ihr Eingeständnis aufnimmt. 

Eine gute Fehlerkultur bringt das Unternehmen voran

Ihre Offenheit ermöglicht es Ihren Leuten, aus Fehlern zu lernen und sich, Ihre Firma, die Produkte und Dienstleistungen zu verbessern. Außerdem versuchen die Mitarbeiter nicht, Fehler (vor Ihnen) zu verheimlichen - was dann meist darin endet, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt wie U-Boote auftauchen, und zwar genau dann, wenn Sie es am wenigsten gebrauchen können und wenn sie am meisten Aufräumarbeit verursachen.

Alle sollten sich ergänzen - auch der Chef

Wenn Sie Schwächen zugeben, haben Sie selbst und Ihre Mitarbeiter*innen die Möglichkeit, sie auszugleichen. Sie selbst, indem Sie bewusst Leute einstellen, die Sie und Ihre Fähigkeiten ergänzen. Ihre Mitarbeiter*innen, damit Sie Ihnen aktiv unter die Arme greifen können, ohne dass sie es sich gleich mit ihrem Boss zu verscherzen. 

Regelmäßige Reflexion

Nutzen Sie andere Menschen, um sich zu reflektieren. Suchen Sie das vertrauliche Gespräch. Wichtig ist, dass der- oder diejenige nicht nur "Ja und Amen" sagt, sondern Ihnen den Spiegel vorhalten und Ihnen sagen darf, ob Ihre Wahrnehmung passend ist. Für den Einen klappt das gut mit nahestehenden Menschen, Kumpels, Freunden und Freundinnen. Andere bevorzugen einen professionellen Coach - das liegt bei Ihnen. Das Eine ist nicht zwingend besser als das Andere. 

Nutzen Sie ein kleines Notizbuch

Beginnen Sie ein Notizbuch und schreiben Sie auf, was Sie bewegt und welche Fragen Sie haben. Schreiben Sie vor allem nieder, was Sie gut gemacht haben und was an diesem Tag prima gelaufen ist. Ein, zwei Stichworte, das reicht jeweils. Es bestärkt Sie und Sie werden feststellen: Es ist gar nicht so wenig. 

Ich unterstütze und ermutige Sie, Ihren Weg zu finden - und entwickle Ihr Team und Ihre Organisation so weiter, dass beides Sie stützt. Sprechen Sie mich an. 

Update, 20. Januar 2018

In einer früheren Version des Artikels schrieb ich unter dem Punkt "Sie haben fähige Leute", dass die Führungskraft die Mitarbeiter*innen selbst eingestellt habe. Ein*e Leser*in schrieb mir per Mail:

Ich fand den Artikel zu den unsicheren Führungskräften sehr interessant, möchte nur etwas anmerken: es ist glaube ich häufig so, dass man als Führungskraft ein bestehendes Team übernimmt, das man nicht selbst zusammengestellt und aufgebaut hat und mit MitarbeiterInnen, die man selbst nie eingestellt hätte. Das lässt sich natürlich ändern/umstrukturieren, aber das verläuft ja nicht alles linear. Sondern es läuft alles parallel, da sind gewachsene Abläufe (die evtl. umgedacht werden müssen) und ein Set an Fähigkeiten (das evtl. aufgebaut werden kann) und vorhandene Personen (die evtl. ausgetauscht werden müssen) und nebenher, bzw. idealerweise natürlich im Vordergrund, läuft das Geschäft. 

Das ist vollkommen richtig. Ich habe den Satz deshalb entfernt. 


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