Innovatives Ruhrgebiet: Mehr Inseln statt Einheitsbrei

Veröffentlicht am 4. 4. 2017 von Christian Fischer

Blick von der Zeche Zollverein aufs Ruhrgebiet

Zurzeit besuche ich vergleichsweise viele Veranstaltungen. Ich möchte die Unternehmer und Unternehmerinnen im Ruhrgebiet kennenlernen und erfahren, was sie rund um das Thema „Innovation“ bewegt.

Am vergangenen Donnerstag war ich bei einer gemeinsamen Veranstaltung des Initiativkreis Ruhr und der Katholischen Akademie des Bistums Essen. Sie hieß: „Das Ruhrgebiet – eine Adresse für junge Leute?“

Das Ruhrgebiet ist keine Einheit – und sollte auch keine sein

Am spannendsten fand ich die Forschungsergebnisse von Annamaria Deiters-Schwedt von der empirica ag. Das Unternehmen beschäftigt sich unter anderem mit der Attraktivität von Städten und hat 30 Schwarm-Städte identifiziert, die mehr junge Menschen anziehen, als dass sie sie verlieren. Städte aus dem Ruhrgebiet sind keine dabei.

Das liege nicht mal am schlechten Image des Ruhrgebiets, referierte Deiters-Schwedt, sondern daran, dass das Ruhrgebiet bei jungen Menschen gar kein Image habe. Junge Leute verbinden einfach nichts mit Essen, Bochum oder Duisburg – also auch nichts Positives.

Dabei braucht es laut empirica vier Dinge, um als Stadt für junge Leute attraktiv zu sein:

  1. Andere junge Leute. „Es gibt immer mehr junge Menschen, deshalb rotten sie sich zusammen“, sagte Deiters-Schwedt sinngemäß – was logisch sind. Niemand möchte als junger Mensch zwischen lauter Alten sitzen. Man möchte Gleichgesinnte.
  2. Farradentfernungen. Studieren, jobben, ausgehen, eine Arbeit finden, ein Unternehmen gründen – alles sollte nah beieinander möglich sein. Es braucht Innovations- und Lebensblasen – nicht nur mental oder virtuell, auch räumlich.
  3. Ein attraktives Zentrum. Schwarmstädte haben allesamt einen Stadtkern, der die Menschen anzieht.
  4. Ein Alleinstellungsmerkmal. Städte, die attraktiv für junge Menschen sind, haben einen Anziehungspunkt, für den sie national oder international bekannt sind. Binnenalster, Clubszene, Kneipen in Schwabing, Finanzmetropole, das Meer, die Alpen – haben wir alles im Ruhrgebiet nicht. Und leider auch nichts identifizierbar Alternatives.

Das heißt:

In der Vergangenheit war immer die Rede davon, dass das Ruhrgebiet mehr eins werden müsse. Die Ergebnisse lassen auf das Gegenteil schließen: Die Städte müssen eigene Markenkerne herausarbeiten, sich voneinander abgrenzen – ähnlich wie die Städte der Rhein-Main-Metropole.

Anstatt ein Potpourri aus Vielem zu sein, braucht es klare Milieus, in denen sich innovative Menschen wohlfühlen – und die ihnen Vorteile bieten: räumliche, berufliche, gesellschaftliche (und gesellige). Milieus, die Identifikation bieten. In denen man etwas bewegen kann. Die einfach toll sind, weil sie neues Denken und eine  alternativen, fortschrittlichen Alltag ermöglichen – und die gleichzeitig heimelig sind.

Wofür steht Bochum heute? Was gibt’s Tolles in Dortmund? In Essen? In Duisburg? Selbst als Bewohnerin des Ruhrgebiets fällt es mir schwer, etwas zu nennen, das für Außenstehende sofort und eindeutig greifbar ist. Ich fühle mich hier im Ruhrgebiet wohl, hier passiert gerade total viel – aber es ist nichts, was zusammengenommen eine Unique Selling Proposition ergibt, die ich jemand Drittem, der beispielsweise in Rosenheim wohnt, als glasklare Argumente an die Hand geben kann, hierhin zu ziehen.

Die Konsequenz: Inseln statt Einheitsbrei schaffen

Die Städte im Ruhrgebiet brauchen jede ein Thema, das sie attraktiv macht. Technologie, Kreativwirtschaft. Umweltwirtschaft, nachhaltige Stadtentwicklung … – es gibt genug Bereiche, in denen einzelne Ruhrgebietsstädte Vorreiter sein könnten.  Sie sollten diese Entwicklung als strategisches Ziel systematisch verfolgen, in Abgrenzung zu anderen – und dafür andere Dinge außen vor lassen. Eines zu tun heißt immer, anderes (los-) zu lassen.

Randbemerkungen: Keine Digitalisierung, keine Diversität

Zwei Randbemerkungen seien noch erlaubt, weil sie mir auf der Seele liegen: Weder Diversität noch Digitalisierung spielten in der Diskussion um die Zukunft des Ruhrgebiets eine Rolle. Die Wörter fielen nicht einmal – nicht wortwörtlich und nicht im übertragenen Sinne. Das empfinde ich als ausgesprochen befremdlich.

In Berlin ist gerade (3. April 2017) das Einstein Center Digital Future eröffnet worden: 100 Professor*innen, die sich wissenschaftlich mit der Digitalisierung auseinandersetzen (Artikel auf tagesspiegel.de).  Das NRW-Wirtschaftsministerium ist dahingehend zaghafter, aber nichtsdestotrotz: Zum Jahreswechsel 2016/2017 starteten sechs Hubs, „damit NRW zum Digitalland Nummer eins werden kann.“ Hier liegt eine der großen Chancen fürs Ruhrgebiet.

Das zweite, was mir in der Diskussion wiederholt auffiel: das konservative Bild der Arbeitnehmers. Die Suche nach High Potentials für das Ruhrgebiet sei nicht einfach, war die einhellige Meinung auf dem Podium, denn auch die Lebensqualität zähle für potentielle Kandidaten. Hier habe das Ruhrgebiet ein schlechtes Image.

Ich benutze bewusst die männliche Form, denn die Diskutanten sprachen ausnahmslos von „Professoren“, vom „Experten“ und vom „Mitarbeiter“, dessen Frau man auch fürs Ruhrgebiet begeistern müsse. Die Ehefrauen, so wurde zweimal in Wortbeiträgen festgestellt, wollen nämlich immer nach Düsseldorf ziehen, auch wenn der Gatte in Duisburg oder Essen arbeite. Daran müssen man arbeiten.

Was kreiert diese Haltung für ein Bild bei mir? Frauen – außerhalb des Fokus. Menschen mit Migrationshintergrund (gerade hier hat das Ruhrgebiet enormes Potential) – außerhalb des Fokus. Konservativ, traditionell, männerdominiert, starre Denkmuster – das ist nicht das innovative Milieu einer Schwarmstadt.

Vielleicht könnte ein Alleinstellungsmerkmal also auch ein: Erfolg durch hervorragendes Diversity Management.  Das wäre mal was.


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