Wer das Problem kennt, hat die Lösung

Veröffentlicht am 1. 4. 2019 von Dr. Vanessa Giese

Das Problem eingehend zu betrachten, ist mühsam, weil es keine schnellen Ergebnisse gibt - spart nach hinten raus aber Zeit und Geld. (Foto: startupstockphotos/pexels)

Wenn es darum geht, Probleme zu lösen, stecken viele Unternehmen 80 Prozent ihres Aufwandes in die Entwicklung von Lösungen - und nur 20 Prozent ins Analysieren des Problems. Dabei ist es umgekehrt sinnvoller.

80 Prozent des Aufwandes sollten also in die Analyse des Problems gehen? Die Macher unter Ihnen raufen sich jetzt die Haare und denken mit Grauen an ermüdende Runden in Meetingräumen. 

Doch ich meine es ernst. 

Meiner Erfahrung nach beenden die meisten Menschen ihre Betrachtung des Problems bereits nach zehn bis zwanzig Prozent dessen, was nötig wäre. Der Grund: Sie verwechseln Symptome mit Ursachen. Sie sehen ein Symtpom, denken, sie hätten das Problem erkannt, und versuchen, es mit einer schnellen Lösung zu lindern. 

Lösungen für Ursachen, nicht nur für Symptome

Die Lösung verbessert dann zwar zunächst das Symptom. An anderer Stelle sorgt sie jedoch für neues Ungemach. Dieses Ungemach sind beispielsweise

  • bürokratische Prozesse,
  • teuer angeschaffte, aber ungenutzte Software
  • Zuständigkeitsdiskussionen und
  • Lösungen, die gar nicht erst zur Umsetzung kommen. 

Hilfreiche Fragen, gestellt an unterschiedliche Menschen

Menschen, die mich fragen, ob ich ihnen helfen kann, begegnen mir oft mit einem bestimmten Satz. Sie sagen: "Wir brauchen ...!" - und benennen eine Lösung.

Ich ergründe dann zunächst, ob diese Lösung an die Ursache geht oder nur eine Symptombehandlung ist. Ich hake nach: 

  • "Warum meinen Sie, dass Sie ... brauchen?" 
  • "Inwiefern würde ... helfen?"
  • "Wo in Ihrer Arbeit haben Sie in dieser Hinsicht Probleme? Inwiefern?" 
  • "Was tut am meisten weh? Inwiefern?"
  • "Wann haben Sie das Problem das letzte Mal erlebt? Wie war das für Sie?"

Spannend wird es spätestens dann, wenn ich diese Fragen mehreren Menschen stelle - nämlich allen, die von verschiedenen Seiten aus mit dem Problem zu tun haben, etwa aus unterschiedlichen Abteilungen. Denn was für eine Abteilung eine Lösung ist, kann für die andere Abteilung Ungemach bedeuten. Sie blockiert dann nicht nur das Umsetzen der Lösung. Die Situation sorgt auch für Zwist. Die Einen sind gekränkt und fühlen sich demotiviert, weil sie sich engagiert um eine Lösung bemüht haben - die bei den Anderen jedoch nicht auf Gegenliebe stößt. Die Anderen fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Die Fronten verhärten sich. 

In die Tiefe zu fragen, erfordert Übung

Probleme in der Tiefe zu ergründen, um an die Ursachen zu gelangen, und dabei die richtigen Fragen zu stellen, braucht Übung.

Ungeübte stellen schnell Fragen, deren Antwort wiederum nur ein "Ich brauche ..." ist. Diese Fragen sind beispielsweise: „Was wünschst du dir?“, "Hast du eine Idee?" und „Wie sollen wir es machen?“ Damit landen sie wieder in einer Sackgasse. 

Ein Alltagsbeispiel macht deutlich, warum das so ist: 

Nehmen wir an, jemand zahlt monatlich für ein Fitnessstudio, geht allerdings nur selten dorthin. Nennen wir denjenigen Sarah. Wenn ich Sarah frage, was ihr helfen könnte, um regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen, wird sie mir alle möglichen Dinge nennen: mehr Zeit, eine vernünftiges Outfit, einen Parkplatz nahe des Studios, erstmal fünf Kilo weniger, ein Fitnessarmband, eine Erinnerungsapp. Am Ende ist Sarah neu eingekleidet und hat eine Fitbit-Uhr, aber der innere Schweinehund ist noch genauso groß. 

Fragen Sie deshalb immer nach realen Situationen und bleiben Sie in der Gegenwart, wenn Sie einem Problem auf die Pelle rücken wollen. Nur so erfahren Sie, wo der Schuh wirklich drückt - und Sie vermeiden Wunschkonzerte, fiktive Annahmen und endlose Diskussionen. Denn diese entspinnen sich vor allem an den Symptombehandlungen - und nicht am Problem selbst. 

Bleiben wir beim Beispiel:

Ich frage Sarah also: "Erinnerst du dich an das letzte Mal, als du im Fitnessstudio warst? Wie war das? Was hast du gemacht? Was hat dich gestört? Inwiefern - was war dir unangenehm? Warum genau? Erinnerst du dich, als du das letzte Mal geschwänzt hast? Wann war das? In welcher Situation warst du?“ Wir finden dadurch viel konkreter heraus, was Sarah braucht, um öfter Sport zu treiben. Am Ende kommt heraus, dass Sandra das Fitnesstudio besser kündigt und einen anderen Sport treibt - draußen, in Gesellschaft, mit festen Terminen. Statt Geld in nutzlose Fitness-Apps und Klamotten zu investieren, schließt sie sich für die gleiche Mitgliedsgebühr einer Freeletics-Gruppe an.

Wenn Unternehmen mir also sagen: „Wir brauchen ...!“, schaue ich genau hin, ob sie sich nicht gerade die fünfte Sporthose und die dritte Fitness-App zulegen, anstatt die passende Sportart für sich zu finden.

Dieser Text erschien zuerst im Newsletter


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