Jedes Projekt hat sein U-Boot

Veröffentlicht am 12. 12. 2019 von Dr. Vanessa Giese

Plötzlich taucht es aus den Tiefen des Projekts auf: das U-Boot. (Foto: Pixabay/skeeze)

Wenn Sie Projekte managen, kennen Sie das: Irgendwann kommt der Moment, in dem Ihr schöner Plan zu Schall und Rauch wird. Es sei denn, Sie haben ein U-Boot eingeplant. 

Als ich mit dem Projektmanagement begann, gab es immer mindestens eine Situation, in der ich dachte, ich sei vollkommen unfähig. Das war der Moment, in dem ich gewahr wurde, dass ich etwas Entscheidendes übersehen hatte; in dem mir der Kunde ein Dokument schickte, das eine geplante Systematik infrage stellte; in dem der Programmierer in der Tür stand und sagte: "Das funktioniert alles nicht."

Die Lücke zwischen Nichtwissen und dem Selbstverständlichen

Mit der Zeit wurde mir klar: Das ist keine Unfähigkeit. Das ist das U-Boot.

Projekt-U-Boot, das (n.): plötzlich auftauchende, böse Überraschung, die das Projekt zurückwirft; hat unter der Oberfläche geschlummert; war zuvor nicht zu orten

Das U-Boot jedes Projekts entsteht aus einer Lücke heraus:

  1. Das Projektteam weiß nicht, was es nicht weiß. Es kann deshalb bestimmte Fragen zum Sachverhalt nicht stellen.
  2. Der Auftraggeber weiß nicht, was das Projektteam nicht weiß. Bestimmte Details seiner Arbeitsabläufe sind ihm so selbstverständlich, dass er sie nicht von sich aus erwähnt

Ein Beispiel für ein Projekt-U-Boot

Ein Beispiel aus meiner Zeit als Projektleiterin in Web-Projekten: Ein mittelständisches Unternehmen wollte, dass seine Bestandskunden Ware online nachbestellen können. Bis zu dem Zeitpunkt riefen die Kunden an oder schickten ein Fax, wenn sie neue Ware brauchten; Mitarbeiterinnen übernahmen die Bestelldaten ins System und lösten die Bestellung aus. 

In Zukunft sollten die Kunden online nachbestellen, und die Bestellung sollte automatisch vom Shop ins bestehende System laufen. Dazu bekam jeder Kunde ein Benutzerkonto, in dem schon seine Daten hinterlegt waren. 

Das U-Boot

Über die Jahre hatten die Mitarbeiterinnen einzelne Datenfelder kreativ umfunktioniert: In nicht genutzte Adressfelder haben sie beispielsweise "Anlieferung über Hinterhof, grüne Tür" eingetragen. Oder sie haben den Namen der Geschäftsführungsassistenz in das Feld für die E-Mail-Adresse hinterlegt - mit Hinweisen zur Person. Die Bestellung erfolgte ja bislang per Fax, da brauchte es kein Mail-Feld. Das sorgte für ein großes Durcheinander beim Test der Nutzerkonten. Plötzlich standen da interne Notizen!

Die Folgen des U-Boots

5.000 Kundendaten mussten durchgesehen werden. Bestimmte Felder durften nicht in den Shop übernommen werden. Es gab Nachprogrammierungen. 

Hätte man das U-Boot verhindern können? 

Nun, wir haben uns natürlich vorher Test-Datensätze geben lassen. "Die Datensätze sehen alle so aus wie diese 150", sagte der Auftraggeber. Zufällig waren in diesen 150 allerdings keine internen Eintragungen drin - und den Mitarbeiterinnen war ihre Arbeitsweise zu selbstverständlich, als dass sie sie erwähnt hätten. Voilà, ein U-Boot!

Gegen U-Boote hilft nur der weise Umgang mit Überraschung

Man könnte meinen, dass Erfahrung helfe, U-Boote zu vermeiden. Das tut sie allerdings nur bedingt: Bereits dagewesene U-Boote kann man erfragen und abprüfen. Das U-Boot-Wesen kennt jedoch eine unendliche Anzahl an U-Boot-Typen. Zudem entsteht mit Technik, die sich stetig weiterentwickelt, auch immer neues U-Boot-Potential. Was also tun?

Die Antwort: ein unbekanntes U-Boot einplanen. Wenn ich in der Vergangenheit Projektpläne gemacht habe, habe ich immer zehn Prozent auf die Projektlaufzeit draufgerechnet: bei zwölf Wochen also 1,5 zusätzliche Wochen. Wenn ich gefragt wurde, was in diesen Wochen passiert, habe ich geantwortet: "Was genau, weiß ich nicht. Aber dass etwas passiert - das kann ich sicher sagen."


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