Was uns das erste Pandemie-Jahr lehrt
Nun leben wir schon fast ein Jahr mit der Pandemie. Unsere Pläne wurden über den Haufen geworfen, wir mussten mit viel Unsicherheit leben und Entscheidungen treffen. Nebenbei hat uns das Jahr gezeigt, was in solchen Situationen hilft.
1. Klarheit
Die Pandemie zeigt: Schlechte Nachrichten sind zwar schwer verdaulich. Allerdings lassen sich Fakten auch nicht ignorieren. Es fühlt sich besser an, das Übel sofort und in Gänze zu betrachen und harte, aber kurze Konsequenzen zu durchleben als Unklarheit, Zaudern, Machterhalt und langes Herumeiern zu ertragen. Das ist eine Erkenntnis, die wir in jedes Projekt, jede Kommunikation und jeden Wandel mitnehmen können.
2. Erklärungen machen mündig
Der NDR-Podcast "Corona-Virus-Update" mit Christian Drosten und Sandra Ciesek hat mich kontinuierlich durch das erste Pandemie-Jahr begleitet. Dank dieses Stücks Wissenschaftsjournalismus habe ich mich jederzeit hervorragend informiert gefühlt. Ich konnte mein eigenes Verhalten anpassen, habe verstanden, warum was um mich herum geschieht, und konnte mir eine Meinung zu politischen Entscheidungen bilden. Die allgemeinverständlichen Erklärungen und die praktischen Empfehlungen haben wesentlich dazu beigetragen, dass ich mich als Handelnde fühlte - und nicht als Opfer der Pandemie.
Auch sagen, wenn es (noch) nichts zu sagen gibt
Was mir auch stets half: Wenn Professor Drosten sagte, dass es nichts Neues zu sagen gibt. Wenn er mitteilte: "Das weiß man jetzt noch nicht, aber wir erwarten im kommenden Monat Studien dazu", hat mich das ungemein beruhigt, weil ich dann wusste: Menschen, die sich gut auskennen, sind an dem Thema dran; sobald es etwas Neues gibt, werde ich es über diesen Kanal erfahren; bis dahin muss ich mir keine Gedanken machen.
Für gute Führung gilt also: Viel erklären, viele Hintergründe liefern, viele Wiederholungen einplanen und auch kommunizieren, wenn es gerade nichts zu sagen gibt.
3. Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung
Eine Tatsache, die im Beobachten und Abwarten, im Zögern und Aussitzen oft verkannt wird: Auch wenn wir nichts entscheiden, entscheiden wir uns. Nämlich für den Status Quo, für das Fortführen des aktuellen Zustands - mit all seinen absehbaren Entwicklungen.
4. Das richtige Maß an Transparenz
Wer mich kennt, weiß: Ich bin eine große Verfechterin von Transparenz. Mit Transparenz ist jedoch immer auch die Frage der Verantwortung verbunden. Welche Verantwortung hat der Andere in Bezug auf die Informationen, die er durch meine Transparenz erhält?
- Erwarte ich von ihm, dass er die Infos zur Kenntnis nimmt und ansonsten weitermacht wie bislang, bis ich das Gegenteil anweise?
- Oder soll er von sich aus aktiv werden und Rücksprache darüber suchen, was nun zu tun ist?
- Oder erwarte ich, dass er auf Basis der neuen Informationen sein Handeln eigenverantwortlich anpasst? Was ist, wenn Einzelnen dazu Mittel und Kompetenzen fehlen?
Transparenz ist ein Zaubermittel ebenso wie eine Zumutung. Ich darf nur so transparent sein, wie es den Möglichkeiten und Fähigkeiten des Gegenübers entspricht - und ich muss ihn befähigen, mit meiner Tranpsarenz umzugehen.
5. Nur versprechen, was man auch halten kann
Es klingt nach einem Spruch aus der Kindheit: Verspreche nur, was du auch halten kannst. Wenn wir keine Aussage treffen können, wann das Ziel erreicht ist, dann sollten wir kein Datum nennen. Wenn wir keine Lösung kennen, sollten wir keine herbeifabulieren.
Der Weg zur Lösung gibt Halt
Es ist okay, nicht zu wissen, wo es lang geht, solange wir eine Idee haben, wie wir zu Erkenntnissen gelangen, die uns den Weg weisen. Wenn wir mutig Unwissenheit zugeben und gleichzeitig das, was wir wissen und abschätzen können, konsequent und klar benennen und handeln, entsteht auch in der Unsicherheit Sicherheit.
6. Kulturbildende Momente
Menschen merken gerade in der Krise sehr genau, wer sich gut benimmt. Unternehmen, die während der Pandemie klar und nachvollziehbar agieren, ihre Belegschaft ernst nehmen, sie beteiligen und pragmatische Lösungen finden, solidarisch handeln und Unsolidarität sanktionieren, werden es nach der Krise spüren.
Einzelne Situationen prägen
In 2020 gab es viele kulturbildende Momente: überraschende Situationen, die wir nicht mit dem vorhandenen Verhaltensrepertoire bewältigen konnten, die eine große Aufmerksamkeit bekamen und die Entscheidungen erforderten. In solchen Situationen werden Weichen gestellt; es sind Momente mit großer Wirkkraft, die das Unternehmensklima prägen. Organisationen, die diese Momente gut zu nutzen wissen, prägen ihre Zukunft.
7. Lernen, kontinuierlich und auch von anderen
Solange es keinen und nicht ausreichend Impfstoff gibt, bleiben uns nur soziokulturelle Werkzeuge, um das Virus zu bekämpfen: Abstand und Maske, Zusammenkünfte meiden, Hygiene. Je aufgeklärter der Einzelne ist, desto besser kann er sein Handeln zum Wohle der Gemeinschaft einsetzen. Je schneller neue Erkenntnisse zur Verfügung stehen und je passender sie für einzelne Gruppen kommuniziert werden, desto mehr Verantwortung kann jeder von uns übernehmen.
Wissen bunkern hilft niemanden, Wissen teilen dagegen sehr. Organisationen tun deshalb gut daran, personelle Ressourcen in Wissensmanagement zu investieren, damit alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jederzeit kluge Entscheidungen im Sinne des Ganzen treffen können.
8. Entscheidungen dorthin, wo sie sinnvoll sind
Dass Entscheidungen dorthin gehören, wo sie sinnvoll sind, zeigt sich in der Pandemie nirgendwo besser als in den Schulen. Das Leben in Schulen ist divers und heterogen - die Grundschüler einer großstädtischen Brennpunktschule benötigen Anderes als die Abiturienten eines ländlichen Gymnasiums. Entscheidungen sollten immer dort getroffen werden, wo die Menschen sich mit den Gegebenheiten vor Ort und den Konsequenzen ihres Handelns auskennen.
Klare Ziele, einheitliche Kriterien
Gleichzeitig benötigt es klare Ziele und Erwartungen sowie einheitliche Kriterien, nach denen die Entscheider und Entscheiderinnen handeln: eine gemeinsame Haltung und eine übergreifende Strategie, einheitliche Datenquellen und transparente Schwellwerte. Das ermöglicht Flexibilität bei gleichzeitigem Schulterschluss.
9. Sachbezogene Gefühle
In Zeiten der Krise ist es wichtig, sich an Zahlen und Wissenschaft zu orientieren und dennoch Emotionen zuzulassen. Denn natürlich fällt es uns schwer, eine Krise zu durchleben. Gleichzeitig sind bestimmte Entscheidungen unumgänglich. Dieses Dilemma kann man ausdrücken, man kann Gefühle zeigen und auf die Gefühle Dritter eingehen - und dennoch hart und klar in der Sache sein.
10. Kontinuierlicher Wandel
Die Pandemie stellt Anforderungen an die Digitalisierung, an mobile Arbeitsformen, an Formate in Schule und Bildung und an die Arbeitsbedingungen in der Medizin - um nur einige Themen zu nennen. 2020 haben wir gesehen: Großen Baustellen kann man lange aussitzen. Aber sobald Unvorhergesehenes geschieht, gerät alles sofort an den Rand des Zusammenbruchs. Wer in seiner Branche und in seiner Organisation schon vor der Krise eine Kultur der kontinuierlichen Entwicklung geschaffen hat, wer in kleinen Schritten stetig voran ging, dem fiel auch kein Innovationsstau auf die Füße.
Dieser Text erschien zuerst als Newsletter, den Sie auch abonnieren können.