Ein Gespräch am Fuß des Schokoladenturms
Während ich diesen Beitrag schreibe, sitze ich in einem Café: Hannover, Bahnhöfsnähe, Lederbänke, plüschige Sitzgruppen und eine Kaffeetheke. Ich möchte von einem Mann erzählen, den ich auf dem Weg hierhin getroffen habe - ein Mann, der einen großen Schritt gewagt hat, um so zu arbeiten, wie er arbeiten möchte.
110 Minuten Verspätung. 60 Minuten Verspätung. 90 Minuten Verspätung. Kein Zug nach Norden, nicht jetzt. Ein kollektives Stöhnen geht durch den Dortmunder Bahnhof.
Im Foyer, einem Zweckbau aus den 50ern, sammeln sich Menschen. Direkt an den Eingangstüren steht ein Ritter-Sport-Denkmal, gestapelte Schokoladen bis in vier Meter Höhe. Auf dem Sockel sitzt ein Mann, eine adrette Erscheinung, ergraut, Hemd, Siegelring. Vor seinen Knien: ein großer Koffer. Wir wollen beide nach Hamburg, doch die Fahrt lässt auf sich warten. Wir kommen ins Gespräch.
Er wohne eigentlich in Nordamerika, erzählt er, seit 50 Jahren schon. Mehrmals im Jahr komme er gemeinsam mit seiner Frau nach Deutschland und fahre dann Bahn, immer mit Hindernissen. Es sei, sagt er säuerlich, als fielen die Züge aus, sobald sie in Düsseldorf aus dem Flieger stiegen.
Er erzählt aus seinem Arbeitsleben und wie er in Kanada für einen großen deutschen Industriekonzern arbeitete, Stahl und Maschinenbau, bis das Unternehmen zerschlagen wurde. "Ich bin dann dort geblieben", sagt er, "und habe mich selbstständig gemacht." Ein großer Schritt sei das damals gewesen. "Aber ich musste etwas wagen, um so zu arbeiten, wie ich arbeiten will."
Verantwortung macht Menschen glücklich - und Kunden auch
Was Deutschland fehle, sagt er, sei Verantwortung. "Verantwortung macht Menschen glücklich." Dort, wo er lebe, sorge sie dafür, dass vieles schneller gehe und reibungsloser funktioniere, vor allem für die Kunden. "Die Mentalität ist einfach anders. Ich muss als Kunde niemals warten, bis ein Chef entscheidet. Der Mitarbeiter entscheidet, was er für mich tun kann - und tut es dann einfach, ohne wegen allem zu fragen."
In seinem Angestelltendasein habe er sich oft unbeliebt gemacht. "Wenn ich etwas verändern wollte, hieß es immer: Das geht nicht, das können wir nicht. Dabei wusste ich genau, dass es ging." Es sei eine Frage der Haltung und des Verständnisses vom Menschsein. "Deutschland ist misstrauisch." Um gut für den Kunden zu arbeiten, sagt er, brauche es ein Miteinander, in dem Menschen einander vertrauen, dass der Andere das Richtige tut.
Ich erzähle, dass ich für Unternehmen arbeite - und für genau diese Mentalität. "Firmen wollen, dass ich Prozesse aufsetze", sage ich. "Ich schaue mir die Sache an. Oft antworte ich: 'Ihre Mitarbeiter brauchen keinen weiteren Prozess. Sie brauchen Verantwortung.'"
Er nickt und fragt: "Wie reagiert die Geschäftsführung darauf?"
"Skeptisch", antworte ich. "Auch verängstigt. Manchmal weiß sie es und braucht jemanden, der den Leuten hilft, Verantwortung zu übernehmen - und der sie selbst unterstützt, sie abzugeben."
"Wenn Sie wissen, wohin Sie hinwollen, sind Sie erfolgreich"
Er sagt, er habe fünf Jahre gebraucht, bis er als Selbstständiger Erfolg hatte. "Wenn Sie diszipliniert sind und wissen, wohin Sie wollen, dann sind Sie erfolgreich. Das kommt irgendwann automatisch. Dagegen können Sie nichts tun." Das sei für ganze Unternehmen so.
Doch viele Unternehmen, das habe er mit der Zeit erkannt, seien auf dem Markt unterwegs, ohne überhaupt zu wissen, wohin sie wollen. So könne niemand Verantwortung übernehmen. "Menschen, die arbeiten, wollen wissen, wofür. Sie wollen wissen, in welche Richtung sie gehen sollen. Dann können sie selbst entscheiden, welchen Weg sie nehmen. Ohne, dass jemand sie über jede Kreuzung führt."
Der Zug hat inzwischen 140 Minuten Verspätung. Er sagt, er hole sich jetzt noch einen Kaffee, dann sei es an der Zeit, dass er fort komme von hier.
Ich pflichte ihm bei. Wir wählen an diesem Tag die gleiche Richtung, aber andere Strecken als geplant.
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