Interaktive Innovation - Das Labor im Tagesgeschäft

Veröffentlicht am 22. 1. 2020 von Dr. Vanessa Giese

Im Alltag experimentieren, bringt das Unternehmen voran und stärkt die Unternehmenskultur. (Foto: Pexels, Chokniti Khongchum)

Manchmal würde man gerne Dinge anders machen, weiß aber nicht, wie. Dann hilft ausprobieren. Am besten strukturiert. Das kann die Methode der Interaktiven Innovation. Sie  beteiligt diejenigen Mitarbeiter an der Lösung, die das Problem haben, und nimmt sie in der Verantwortung. Gleichzeitig setzt sie auf kontinuierliche Verbesserung und etabliert eine konstruktive Fehlerkultur. 

Wenn es darum geht, neue Prozesse und Handlungsabläufe zu gestalten, gehen viele Unternehmen so vor: Das Management schließt sich ein. Manchmal mit Unternehmensberatern. Dann geht irgendwann die Tür auf, ein Lichtschein fällt in die Organisation - und heraus kommt ein neuer Arbeitsprozess.

Prozesse, die nicht funktionieren und an die sich niemand hält

Die Folge dieses Vorgehens: Der beschriebene Prozess passt nicht auf den Alltag. Denn sowohl Management als auch externe Berater kennen selten die Tücken und Lücken des täglichen Tuns; die kleinen Stolpersteine, an denen das Große scheitert. Ein Prozess auf dem Reißbrett ist selten ein guter Prozess.

Lasst diejenigen eine Lösung finden, die das Problem haben!

Ich gehe deshalb anders vor: Ich frage die Leute, die operativ arbeiten, was sie gerade für Probleme haben. Dazu setze ich alle Disziplinen, die an dem fraglichen Ablauf beteiligt sind, zusammen. Das allein ist für die Beteiligten schon erhellend: Sie erkennen, dass sie zwar alle unterschiedliche Schmerzen verspüren, die Ursachen jedoch dieselben sind. Für diese Ursachen suchen sie dann Lösungen.

Die Schwierigkeit: Sie kommen dabei meist an einen Punkt, an dem sie nicht wissen, ob Lösung A oder Lösung B die richtige ist. Meist beginnen sie dann, heiß zu diskutieren - die Verfechter von A und die Verfechter von B bringen jeweils ihre Argumente vor. Doch niemand kann sagen, welche Argumente schwerer wiegen. Ich frage dann: "Wie könnt ihr herausfinden, welche die bessere Lösung ist?" Vielleicht haben sogar Beide Recht - oder keiner.

Dabei hilft die Methode der Interaktiven Innovation.

Interaktive Innovationsforschung basiert auf der action research. Sie hat das Ziel, Hypothesen praxisnah zu überprüfen, dabei Probleme zu lösen und Lernprozesse in Gang zu setzen. Die Methodik geht auf den Sozialwissenschaftler Kurt Lewin zurück.

Die Forscher und die Beforschten agieren dabei in einem fortlaufenden Dialog: Die, die etwas herausfinden wollen (die Forscher), lassen die, die etwas tun (die Beforschten, zum Beispiel Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen), es ausprobieren. Gemeinsam schauen sie, ob es funktioniert und messen das Ergebnis.

Bleiben wir bei dem oben genannten Beispiel: Lösung A und Lösung B liegen auf dem Tisch. Was tun wir?

Wir probieren die Optionen einfach aus. Ob man mit A oder B beginnt, stellt sich erfahrungsgemäß recht einfach heraus - meist lässt sich eins von beidem schneller umsetzen.

Strukturiert die beste Lösung finden

Nun geht es daran, die Laborsituation zu kreieren. Im Projektmanagement nennt man sowas "Proof of Concept (PoC)". Man könnte auch sagen: Wir führen eine Machbarkeitsstudie durch. Der Proof of Concept sollte folgende Dinge berücksichtigen:

Transparenz

Allen Beteiligten ist bewusst, dass es sich um ein Experiment handelt. Das Ziel des Experiments ist allen klar, ebenso die Methodik. Alle wissen, dass sie Fehler machen dürfen und diese Fehler auch benennen sollen. Denn alle sind sich bewusst, dass A entweder die falsche oder noch keine perfekte Lösung sein könnte.

Messbarkeit

Die Beteiligten einigen sich darauf, wie sie "Erfolg" definieren und wie sie ihn messen möchten. Woran erkennen wir, dass A eine gute Lösung ist? Was können wir in Zahlen, Daten, Fakten messen? Was können wir - zum Beispiel bei Kunden - in kurzen Interviews erfragen?

Festgelegter Rahmen

Alle einigen sich darauf, wie lange das Experiment, der Proof of Concept, dauern soll. Die Parameter werden einmal vorher gemessen, damit sie als Vergleich dienen können. Und einmal nachher. Bei längeren Zeiträumen auch zwischendrin. Sind die Kunden schon zufriedener geworden? Haben sich Durchlaufzeiten und Produktionsmengen verändert? Hat sich die Zahl der Abstimmungsmeeting verringert? - und so weiter.

Member Check

Diejenigen, die den Erfolg messen, spielen ihre Ergebnisse an die Handelnden zurück. Somit wissen immer alle, ob das, was sie tun, gut ist. Das eröffnet die Möglichkeit, schon während des Experimentalzeitraums nachzubessern und die optimale Lösung zu finden.

Ein fiktives Beispiel

Die Firma "Webgestalter GmbH" gestaltet für ihre Kunden Internetseiten und Onlineshops. Sie möchte agiler werden und neue Arbeitsformen ausprobieren. Denn Projekte werden immer kleinteiliger, gleichzeitig aber komplexer und unwägbarer. Manchmal haben sich Kundenanforderungen schon wieder überholt, bevor sie umgesetzt worden sind. Kosten laufen aus dem Ruder. 

Die Webgestalter GmbH ist jedoch unsicher, ob neue Arbeitsformen wie ScrumProject Canvas und rollierende Planungen etwas taugen. Als ein langjähriger Kunde einen neuen Auftrag platziert, probiert die Webgestalter GmbH gemeinsam mit dem Kunden und einem Coach neue Projektabläufe aus.

  • Rahmen: Experimentalzeitraum ist der Projektzeitraum.
  • Messbarkeit: Aus der Vergangenheit werden vergleichbare Projekte herangezogen und ihr Erfolg gemessen. Parameter sind unter anderem Budgeteinhaltung, Einhaltung des Realisierungstermins, Anzahl der Änderungen im Projektplan, die Anzahl der Change Requests (Änderungsanforderungen), die subjektive Bewertung der Beteiligten und die subjektive Kundenzufriedenheit.
  • Transparenz und Member Check: Alle Beteiligten wissen, dass sie etwas Neues ausprobieren. Neben den normalen Arbeitsmeetings findet einmal wöchentlich ein strukturiertes Gespräch über die Methodik statt, in der der Coach nach Schwierigkeiten und Lösungsmöglichkeiten fragt. Feedback des Kunden wird zurückgespielt. Der Coach überwacht gemeinsam mit dem Projektleiter die Messparameter. 
  • Warm up: Es gibt eine Vorlaufzeit, in der alle Beteiligten in der neuen Methodik geschult werden. Auch der Kunde wird ins Boot geholt. So kann die Firma sicher sein, dass Erfolg und Misserfolg der neuen Methode nicht an persönlichen Kompetenzen liegen.

Am Ende kommt heraus, dass die neuen Arbeitsformen sinnvoll sind - allerdings nicht so, wie sie im Lehrbuch stehen. Die Firma findet ihre eigene Vorgehensweise für sich und für den Kunden, die sie nun fortlaufend entwickelt. Denn sie hat auch gelernt, ihre Mitarbeiter an der Entwicklung der Organisation zu beteiligen.

Das Unternehmen lernt, Fehler zuzulassen und zu benennen

Nebeneffekt dieser Methodik ist: Das Unternehmen beginnt, eine neue Fehlerkultur zu entwickeln und leben. Vorher war es so: Das, was das Management vorgab, wurde gemacht. Wenn es nicht funktionierte, haben die Mitarbeiter um die Vorgaben herumgearbeitet - und nach oben so getan, als hielten sie sich daran.

Im Zeitraum des Proof of Concept ist es hingegen offiziell erlaubt, sogar erwünscht, Fehler zu machen und zu benennen.

Ich habe die Erfahrung gemacht: Die neue Haltung überträgt sich sehr schnell in den Alltag und wirkt über das eigentliche Projekt hinaus.

Ich habe die Methode schon während meiner Dissertation angewendet. Wie genau, können Sie darin nachlesen (auch zum Download). 


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